erstellt am: 04-22-2004 12:18 AM
aus MOPO:Feuerball am Himmel«
NINA GESSNER
Die Maschinen rasten brennend auf St. Peter-Ording zu / Zwei Tote / Panik in Garding
GARDING
Es ist laut auf dem Schulhof der Theodor-Mommsen-Schule in Garding. Große Pause. Doch dann wird der Lärm vom Donnern zweier Düsenjäger noch übertönt. Für die Bewohner der Halbinsel Eiderstedt sind diese Flüge ein Ärgernis, vor allem, wenn die Jets so tief fliegen. Auch Patrick Bohn (15) und Gesa Steinberg (13) schauen zum Himmel. Sie sehen zwei Tornados - und werden so Zeugen eines spektakulären Absturzes.
"Plötzlich gab es einen lauten Knall", erzählt Patrick später. "Die Flugzeuge sind frontal zusammengekracht." Zur selben Zeit, es ist 10.15 Uhr, steht Frauke Ladendorf auf der Terrasse. Auch sie schaut hoch und wird Zeugin des Dramas: "Ich hörte einen Knall - und dann war da ein Feuerball am Himmel." Eines der brennenden Flugzeuge sei noch weiter geflogen - Richtung Medehop und St.Peter-Ording. "Es sah alles so nah aus. Ich geriet richtig in Panik, lief auf die Straße und rief um Hilfe."
Auch Patrick hat Angst. Auch er sieht, wie die Maschinen abschmieren. Und zwar genau dort, wo er wohnt. Er rennt los, sieht noch vier Fallschirme am Himmel, erreicht schließlich sein Elternhaus und atmet auf: Nichts passiert, die Maschinen liegen brennend auf freiem Feld.
Der Junge hofft, "dass auch den Piloten nichts passiert ist". Doch diese Hoffnung erfüllt sich nicht. Zwar konnten beide Besatzungen noch die Schleudersitze auslösen, doch für den Piloten und den Waffensystemoffizier einer der Maschinen kommt jede Hilfe zu spät. Die beiden anderen Soldaten werden leicht verletzt geborgen.
Die Tornados gehörten zum Aufklärungsgeschwader 51 "Immelmann" in Jagel (Kreis Schleswig-Flensburg), waren in Hohn gestartet und befanden sich°auf einem Übungsflug.
Nach Erkenntnissen der Deutschen Flugsicherung im hessischen Langen waren die beiden Jets als so genannte Sichtflieger in einem zeitweilig gesperrten Luftraum unterwegs. "Das heißt, dass sie keine Fluganweisungen von uns erhalten haben", sagte Pressesprecher Axel Raab.
Auch Stunden nach der Katastrophe hängt noch immer der Kerosingeruch in der Luft. Auf dem Feld liegen die Heckteile eines der beiden Tornados. Rauchschwaden steigen auf. Die andere Maschine liegt rund 300 Meter weiter auf der schmalen Landstraße. Stumm schauen die Menschen von der Straße herüber. Selbst die Kühe scheinen verängstigt. Sie kauern auf dem Boden oder drängen sich am Rand der Weide.
Tatings Bürgermeister Hans Jacob Peters steht vor seinem roten Fachwerkhaus und blickt auf die nur wenige hundert Meter vor seinem Haus liegenden Wracks. "Ich war gerade auf dem Schlepper im Hof, als es passierte", sagt der 56-Jährige. "Plötzlich kam mein Sohn angelaufen und zeigte in den Himmel. Ich bin schnell abgestiegen und sah gerade noch, wie der Tornado ins Trudeln kam und ganz tief direkt vor meinem Haus vorbeiraste." Über seinem Haus sei ein Regen aus Folien und Plastikteilchen niedergegangen.
Heinke Hinrichs (62) fährt mit Enkelin Britt (11) auf dem Fahrrad vorbei: "Fast jeden Tag jagen die hier wie die Bekloppten über uns weg", schimpft die Rentnerin. "Ein paar Sekunden früher und das Flugzeug wäre auf Omis Haus gefallen!", ruft Britt und klammert sich an ihre Großmutter.
Glück gehabt hat auch HSV-Idol Uwe Seeler: Sein Haus steht am Ende der Landstraße, rund drei Kilometer entfernt von der Stelle, an der die Flugzeuge abstürzten.
Info:
TORNADO - IST DER JET ZU KOMPLIZIERT?
Der Absturz der Tornados erinnert an ein Unglück vor vier Jahren. Im Januar 1999 waren zwei Tornados vor Norderney in die Nordsee gestürzt - auch sie hatten sich im Flug berührt. Damals wurde spekuliert, ob die Besatzungen einen Luftkampf geübt und dabei einen tödlichen Fehler gemacht hatten. Wie damals wird aber auch jetzt wohl wieder über den Tornado selbst diskutiert. Der Jet, so glauben Experten, überfordere oft die Piloten. 357 Maschinen hat die Bundeswehr seit 1982 angeschafft - 41 Tornados stürzten ab, 33 Soldaten kamen dabei ums Leben.
Die Technik der Maschinen sei inzwischen zu kompliziert, sagen Experten. Der superschnelle Kampfflieger, in den 70er Jahren entwickelt, sei immer wieder modernisiert worden, kaum ein Flieger gleiche dem anderen. Auf jede Änderung müssten sich die Piloten neu einstellen. Das bringe die Besatzungen "oft an die Grenzen ihrer Fähigkeiten". Nach einem Absturz sei dann von "menschlichem Versagen" die Rede - auch jetzt wieder ...?